Von Adlern, die Locken drehen

Vor langer Zeit setzte sich ein Adler auf die Schultern meiner Ahnen und drehte ihre Haare zu Locken. Seitdem legt sich unser Haar wie ein Korkenzieher auf unsere Schultern. Immer wenn ich nichts mehr sehe, schneidet mir Frida ein Fenster ins Gesicht. Sie hatte Künstlerin werden wollen und schneidet jetzt Haare im Barrio. 20 Pesos für alte Knacker wie mich, zehn Pesos für die Kinder. Auch ihre Kinder müssen zahlen. Mittags nach der Schule kommen sie in den Hof, vor dem kleinen Haus mit den zwei Zimmern und der Kochstelle. Dann schneidet sie die Haare und kassiert ihre Kinder ab. Es sei eine gute Übung, sagt Frida.Keine Knallerbsen kaufen oder Gummitiere. Die gibts dann abends nach der Arbeit. Am morgen nach den Haarschnitten drückt sie Alma, José Luis und Diego zehn Pesos in die Hand. Die kaufen dann natürlich Gummitiere und Knallerbsen.

Meine schwarzen Locken kenne ihre silbrigen Nachfolger noch nicht, nur mein Bart am Kinn glitzert hell in der Sonne. Mein schwarzes Haarband hält meine Locken aus dem Gesicht. Sie nennen mich Jesus Cool, also die Jungen. Die Alten und die ganz Jungen rufen mich Don Arturo. Seit 300 Jahren lebt meine Familie in Xanenentla. Einmal mit 18 hielt ichs hier nicht mehr aus. Ich fuhr mit dem Bus in den Norden. Dort schossen sie mir in den Oberarm und ich kam wieder in mein Barrio zurück. Vor zwei Jahren lud uns die Regierung dann zu einem Empfang nach Mexiko-Stadt ein. Wegen der bunten Mauern, mit denen wir das Barrio aufgerichtet haben. Seit zehn Jahren sind unsere Wände bunt und die Alten weniger gebückt. Die Jungen haben schon immer das Maul aufgerissen und machen das jetzt auch vor den Kameras ausländischer Fernsehteams. Heute kennt jeder zwischen Ciudad Juarez und Chiapas unser Barrio. 

Gestern Abend war so ein Deutscher da. Schicke Socken, dumme Fragen. Hat sich tausend Mal bedankt, obwohl er gearbeitet hat und nicht ich. Ich stehe schon seit 20 Jahren nicht mehr auf dem Feld. Das Herz machte schlapp, wollte nicht mehr gebückt stehen. Dann setzte es aus. Fünf Sekunden, zehn, zwanzig, eine halbe Minute, dann hats Franco wieder zum Laufen gebracht. Zwei Rippen mussten dran glauben. Die drücken heute noch die Lungen ein. 10 Jahre hab ich danach im Dunkeln verbracht, bis eines Tages diese Bunte vor der Tür stand. Wollte ihre Buntheit auf meine Mauer pinseln. Nee, hab ich gesagt. Warum, hab ich gefragt. Irgendwas mit Geschichten aus dem Barrio auf die Wände malen. Irgendwas mit kollektiver Tätowierung auf den Mauern. Mal schauen, hab ich gesagt. Geschaut hab ich mal. Und nachgedacht. Zwei Tage später stand die Bunte wieder da. Meinte der Pastor macht die Kirche auf für alle, die was malen wollen. Dann bin ich hingegangen. Gute Tamales gabs da. Mit Salsa Verde und Hühnchen. Wir mussten nicht mal was zahlen. Das letzte Mal, dass jemand aus Downtown was hat springen lassen, wollten sie Wählerstimmen. In Xanenetla. Ich mein: wie dumm muss man sein!?

Wir haben also als erstes meine Mauer bemalt. Mit einer blauem Ceiba mit Wipfelkronen. Auf weißem Grund. Das Grün und das Braun war nicht das Ceiba-Grün und Braun. Nöö hab ich gesagt, dann lieber blau auf weiß. Wie der Himmel und die Wolken. Die Bunte musste lachen und kommt seitdem jeden ersten Sonntag zur Messe und danach auf eine Atole zu mir. Sie spielt dann mit meinen Locken und lacht. Ich lache dann auch, bis Frida klopft, wütend auf die Bunte blickt und mich nach irgendeinem Quatsch fragt. Dann geht die Bunte zurück in ihre bewachte Burg und ich schaue auf den Schrank mit den ganzen Locken auf den Fotos. Ich schließe die Augen und der Adler setzt sich wieder auf meine Schultern und fängt an wieder meine Locken einzudrehen.

(Diese Geschichte entstand im Januar 2018 in Puebla/Mexiko. Sie basiert auf wahren Begebenheiten und ist trotzdem ausgedacht. Herzlichen Dank an Salma Campos Martinez für Übersetzung und Unterstützung)

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