Zu dieser Analyse gibt es eine Geschichte. Ich kenne und schätze den Rapper und Aktivisten form seit Längerem. Drüben bei den Blogrebellen habe ich form einst interviewt und auch privat haben wir uns einige Male getroffen und immer wieder zu verschiedenen Themen ausgetauscht. Neben politischen Themen und der gemeinsamen Begeisterung fürs Fußball spielen, ging es auch immer wieder über deutschsprachigen Rap und dessen politische Dimension.
Im Sommer veröffentlichte Prezident seine Platte „Du hast mich schon verstanden“ und löste damit und mit einigen Äußerungen in Interviews eine große Kontroverse aus, deren Fortsetzung im Folgenden analysiert wird. Seit dem Sommer sprach ich mit form immer wieder über die Idee, ein Streitgespräch zwischen form und Prezident auf die Bühne zu bringen. Da ich Booker im Berliner Club Klunkerkranich bin, konkretisierte sich diese Idee ziemlich schnell. Am 14.November fand dann in Berlin das Streitgespräch statt. Moderiert wurde der Talk von Zarah-Louise Roth, die nach einigen Absagen spontan eingesprungen war. Das Splashmag hat den ersten Teil des Streitgesprächs mitgeschnitten und veröffentlicht. Nachzuhören hier:
Nach der Diskussion kam mir die Idee, mir das vorliegende Gespräch genauer anzuschauen und gleichzeitig eine Vogelperspektive einzunehmen. Ich hab mich bei der Analyse an der Foucault´schen Diskursanalyse orientiert, auch wenn es am Ende eher Freestyle war. In jedem Fall war ich mehr als erstaunt über das Ergebnis, aber lest selbst:
Der Vorlauf
Prezident hat in Bezug auf seine letzte Platte, die größere Kontroversen und letztendlich das Streitgespräch am 14.November im Klunkerkranich ausgelöst hat, sinngemäß gesagt: „Die Reaktionen auf „Du hast mich schon verstanden“ sind Teil des Gesamtkunstwerks“ Diese Perspektive wird im Folgenden als Vorbild genommen, um nachzuzeichnen, was im Vorfeld der Veranstaltung, während der Diskussion und im Nachgang der Veranstaltung geschah.
Bewusst aussparen wird diese Analyse die Diskussionen im Nachgang und, die v.a. in sozialen Medien geäußerte Kritik an der Moderation. Mit Sicherheit ist bezüglich der Moderation nicht alles optimal gelaufen, jedoch lag dies weniger an der Moderatorin, sondern an der Tatsache, dass Zarah-Louise Roth, aufgrund mehrerer Absagen im Vorfeld, lediglich 36 Stunden für die Vorbereitung der Diskussion hatte. Sämtliche Kritik diesbezüglich, ist demnach nicht an die Moderatorin zu richten, sondern an die Organisatoren, zu denen auch der Autor dieser Zeilen gehört.
Diskussion im Facebook-Event
Das Facebook-Event wurde in der zweiten Oktoberhälfte online gestellt und löste direkt große Diskussionen aus. Ein FB-User, nennen wir ihn Diskuttant 1, schrieb im Event „Voll gut, mit Rechten reden. Nicht.“, was in den folgenden Wochen in dutzenden Beiträgen diskutiert wird. Im Groben können die Reaktionen darauf in zwei Positionen aufgeteilt werden.
Die Contra-Position zur Diskussion mit Prezident, wirft den Veranstaltern und Beteiligten vor, rechten Agitatoren eine Plattform zu bieten. Prezident wird im neurechten Meinungsspektrum verortet, seine Thesen zu #metoo und Feminismus in die Nähe des Faschismus gerückt. Ihm wird vorgeworfen die Sprache von Pegida und AfD zu nutzen, um Ressentiments gegenüber Feminist*innen und antirassistisch Engagierten zu schüren.
Die Gegenposition dazu, betont die Meinungs- und Kunstfreiheit, die auch für die in Interviews geäußerten Positionen und Musik Prezidents gelte und bestreitet überwiegend die Einstufung der Positionen Prezidents als „faschistisch“ oder „rechtspopulistisch“. Darunter sind viele Positionen, die sich kritisch mit Prezidents Äußerungen auseinandersetzen, die Diskussion darüber jedoch als legitim und wichtig erachten.
Die Diskussion im Facebook-Event wird, von den Organisatoren, als Impulsgeber für das nachfolgende Streitgespräch verstanden. Zudem war sie aufgrund der vielzahligen Teilnahme hilfreich, um ein Stimmungsbild vor der Diskussion zu erhalten.
Verlauf des Streitgesprächs
Die Diskussion zwischen Form und Prezident fand am 14.November ab 20 Uhr im Berliner Klunkerkranich statt und wurde als „Streitgespräch“ angekündigt. Moderiert wird das Streitgespräch von Zarah-Louise Roth, die aufgrund mehrerer Absagen im Vorfeld, nur 36 Stunden Zeit hat, sich auf die Diskussion vorzubereiten.
Im ersten Teil sollten Form und Prezident über Prezidents Äußerungen zu #metoo, Aufmerksamkeitsökonomie und Feminismus im Rap diskutieren. Im zweiten Teil sollte die Diskussion für das Publikum geöffnet werden. Beide Teile waren circa eine Stunde lang.
Grundüberzeugungen
Zu Beginn machen beide Diskutierenden ihre Positionen und Grundüberzeugungen klar.
Form fässt seine Grundhaltung zusammen mit: „Man gibt sich Mühe kein Arschloch zu sein.“ Er betont die Überzeugung, dass gesellschaftlicher Fortschritt nur über die Diskussion über Utopien zustande kommt und führt das Beispiel „Meinungsfreiheit“ als bestes Beispiel dafür an, dass vormalige Utopien zu Normalität und Gewissheit werden können. Daher der Schluss, dass alle Utopien diskutierbar und in Konsequenz auch, zumindest theoretisch, realisierbar sind. Am ehesten kann Forms Haltung zwischen humanistisch, pro-feministisch und Menschenrechts-orientiert eingeordnet werden
Prezident nimmt für sich in Anspruch kein transzendentes Ziel zu besitzen. Er betont eine sehr geringe Erwartungshaltung und moralische Ansprüche an andere Menschen zu haben. Zudem argumentiert er aus einer Historikerperspektive, nach der gesellschaftliche Entwicklungen in der Regel nicht linear, sondern im Zickzack-Kurs verlaufen. Er macht sich, nach eigener Aussage, in seiner Musik und in Diskussionen über die inneren Widersprüche moralisch hoher Ziele lustig. Prezident bewegt sich in einem Spektrum zwischen Skeptizismus, Nihilismus und Zynismus, der sich aber nicht explizit gegen Werte wie Gleichberechtigung und Gerechtigkeit wendet.
Zum Thema #metoo, betont er, dass er sich in erster Linie über die Berichterstattung zum Thema lustig macht und kritisiert die Symbolhaftigkeit der globalen Bewegung. Prezident nimmt für sich in Anspruch bestimmte Ziele von #metoo zu teilen, sich aber dennoch über andere Teile „auskotzen zu wollen“. In Bezugnahme auf die Verantwortung der Künstler betont er „dass er als Musiker keine Betriebsanleitung zu öffentlichen Debatten liefern müsse“, sondern in Bezugnahme auf Kunstfreiheit alles sagen könne.
Form wirft Prezident vor, sich nicht eingehend mit dem Thema „Sexuelle Übergriffe“ auseinandergesetzt zu haben und sich mehr über die Gegenwehr lustig zu machen, als über die sexistischen Übergriffe. Er leiste Ressentiments Vorschub und füttere antifeministische Positionen. Es wäre eine zivilisatorische Leistung, wenn Frauen ihre Geschichten über Belästigung und Übergriffe, geglaubt werden würde. Es wäre bisher historisch einmalig, dass sich Frauen in diesem Rahmen und in so weiter Verbreitung Gehör verschaffen würden.
Prezident dementiert dies, verweist auf Kampagne wie #aufschrei und #imzugpassiert und positioniert sich in der Folge präziser und wirft der #metoo-„Bewegung“ vor verbale Übergriffe, sexuelle Belästigung und Vergewaltigungen in einen Topf zu werfen. Er richtet seine Kritik insbesondere an eine Berichterstattung, in der v.a. der „Heldenduktus“, der angeblich in der Berichterstattung sich zu Wort meldender Opfern sexueller Gewalt entgegen gebracht wird. Berichterstattung und Einblicke betroffener Personen dazu, würden als „sakrosankt“ und unantastbar betrachtet. Die Frage sei nicht, ob es Übergriffe gegeben hätte, sondern ob die Berichterstattung über die Thematik einen Erkenntnisgewinn brächten. Prezident bezweifelt dies.
Das Thema Aufmerksamkeitsökonomie in Bezugnahme auf bewusste und unbewusste Triggersetzung bleibt in der Folge dennoch unterbelichtet. Auch eine Distanzierung von Prezident´s Aussagen wie „#metoo ist eine Kollektivpsychose“ und „Furzen im Fahrstuhl ist auch eine Form von Belästigung“ bleibt auf Nachfrage weitestgehend aus.
Zuspitzung
Form präzisiert daraufhin seine Vorwürfe und betont, dass eine verschärfte Gesetzgebung und die breite Berichterstattung zu #metoo zu einer Enttabuisierung des Themas sexueller Gewalt führe. Er schildert in der Folge einen Fall über jahrelange Vergewaltigung in der eigenen Familie und deren Wirkung auf das soziale Umfeld. Das Thema transgenerative Traumaweitergabe wird dabei ebenso erwähnt, wie die praktischen Auswirkungen sexueller Übergriffe in Familiensystemen.
Im gleichen Maße, wie Form in seiner Kritik subjektivierender und frontaler wird, zieht sich Prezident auf grundsätzliche Standpunkte zurück und wird wortkarger. Die Diskussion verhärtet sich und wird zunehmend festgefahren. Die Themenkomplexe „Aufmerksamkeitsökonomie“ und „Sexismus im Rap“ werden nicht eingehend behandelt.
Am Ende des Streitgesprächs wird die Frage der Ursachen für Abwehrmechanismen und Emotionalisierung beim Thema aufgeworfen. Sie wird nur oberflächlich und unabgeschlossen behandelt.
Analyse
Die Gesprächsdynamik im Verlauf dieser ersten Stunde ist bemerkenswert und symptomatisch für eine gescheitert wirkende Kommunikation. Vor allem im zweiten Teil des Streitgesprächs zeigt sich, dass Form den Fokus auf Emotionalisierung und Subjektivierung der Debatte lenkt und dabei stark die Opferperspektive vertritt. Dies zeigt sich insbesondere in Zuspitzungen(„Da musst du dich nicht wundern, wenn du in Schnellroda auf dem Tisch liegst“ -Anmerkung d. Red.: Schnellroda ist der Wohn- und Arbeitssitz des rechtsextremen Verlegers Götz Kubitschek) und persönlichen Anwürfen.
Prezident hingegen zieht sich auf einen, aus seiner Sicht beobachtenden, nicht-wertenden Standpunkt zurück und bemüht sich um eine kühl-distanziert wirkende Analyse des Phänomens #metoo und dessen Implikationen. Diese Perspektive steht in einem Widerspruch zu den stark (ab-)wertenden Inhalten der Aussagen Prezidents in Interviews zum Thema(vgl. z.B. Interview in VICE, VÖ: 20.Juli, „Man ist doch ständig in Situationen, in denen andere übergriffig sind. Leute furzen in Fahrstühlen, ich werde den ganzen Tag mit irgendeinem Scheiß belästigt.“) und wird stärker, je emotionaler die Gegenseite argumentiert. Es ist ein zunehmend wortkarger Rückzug und eine Verhärtung in der Position. Zudem lenkt Prezident mehrfach von den konkreten Fragen und Vorwürfen auf andere Themen ab, die er in den Kontext eines vollständigeren Blickes aufs Thema setzt.
Auch zum Ende des Streitgesprächs scheitert der Versuch Gemeinsamkeiten und Verbindendes beider Positionen zu finden. Überbrückungs- und Vermittlungsversuche bleiben weitgehend erfolglos.
Einordnung
Es sind, ungeachtet der Wertungen, zwei fundamental unterschiedliche Zugänge zum Thema. Der eine tendentiell emotional-subjektivierend, der andere vermeintlich kühl-analytisch. Zuweilen wirkt es so, als würden unterschiedliche Sprachen gesprochen.
Bemerkenswert ist dies insofern, dass, aus meiner Sicht, keine diametral gegensätzliche Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse vorliegt. Beide Diskutierenden teilen z.B. ihre Ablehnung neoliberaler Markt- und Gesellschaftsmechanismen, beide teilen eine tendentiell pessimistische Weltsicht und einen skeptischen Blick auf den derzeitigen „Zeitgeist“. Und das Wichtigste: Weder Prezident und Form bestreiten, dass es ein Problem der sexualisierten Übergriffe von Männern auf Frauen gibt bzw. ein historisches Machtgefälle. Sie nehmen beide Bezug auf klassische und neulinke Diskurse, Prezident in seiner Kritik an linker „Identitätspolitik“, die nur unterkomplex auf Unterdrückungsmechanismen hinweise(„Wenn die Hälfte der Sklavenhalter Frauen sind, ist niemandem geholfen“) und den Fokus auf die Verwirklichung individueller Rechte richte, statt Machtfragen und generelle Ungleichheit zu thematisieren. Form, insbesondere dadurch, dass er sich als klar links verorteter Aktivist kritisch mit linken Diskursen und der Rapszene insbesondere z.B. beim Thema Antisemitismus auseinandersetzt. Die Themensetzung und der Ton mag unterschiedlich sein, die Übereinstimmung von Stoßrichtung, die Referenzgrößen, das Wissen über gesellschaftliche Bewegungen und Entwicklungen, sowie biografische Überschneidungen(männlich, weiß, deutsch, Rapper, ungefähr gleich alt, tief verwurzelt in Ideengeschichte und politischem Denken) bei beiden ist jedoch nicht zu übersehen. Hinzu ist von beiden Seiten ein starkes Bedürfnis festzustellen, Kommunikation zu regulieren. Prezident, in dem er auf eine Mäßigung bestimmter Teile der #metoo-Bewegung drängt, form, in dem er, die Äußerungen Prezidents als grenzüberschreitend kritisiert und diese argumentativ sanktioniert.
Die Konsequenz aus den, zum Teil ähnlichen Analysen, unterscheidet sich jedoch deutlich. Während Prezident sich in künstlerischem Ausdruck und Äußerungen zunehmend von gegenwärtigen Zuständen und den Kämpfen der eigenen Zeit distanziert(wenn auch in paradoxer referentieller Art und Weise), wirft sich Form ins Getümmel sozialer und gesellschaftlicher Kämpfe. Er kämpft als Aktivist und Rapper im HipHop, aber auch an anderen Stellen gegen Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. Er arbeitet an der Verwirklichung gesellschaftlicher Utopien, wie das Projekt „Gesellschaft der Vielen“ zeigt, indem Menschen unterschiedlichster Herkünfte, Perspektiven und Identitäten konstruktiv an der Transformation der Gesellschaft arbeiten.
Ausblick
Spannend bleibt einerseits die Frage, ob Prezidents politische Positionierung in Texten und Interviews(die im Übrigen nicht erst mit der letzten Platte „Du hast mich schon verstanden“ angefangen hat) Rückzugsgefechte ins rein Private und Philosophische sind oder andererseits eine Zuspitzung in zukünftige, politische Äußerungen und einer dementsprechenden veränderten Zusammensetzung der eigenen Hörerschaft, findet. Er selbst äußerte sich in einem Interview mit Lisa Ludwig von Vice so: „Und wenn irgendwann der Punkt kommen sollte, dass 50 Prozent der Leute, die auf meinen Konzerten einlaufen, offen erkennbar Nazis sind, dann muss ich mir auf jeden Fall die Frage stellen, ob da nicht gründlich was falsch gelaufen ist.“
Prezidents gesamter Output ist, entgegen der Wahrnehmung der letzten Platte, sehr viel uneindeutiger und ergebnisoffener, als Forms Äußerungen, die konsistent bezüglich Aussage und Stil sind. Er verortet sich klar an der Seite, der von ihm als unterdrückt und/oder marginalisiert wahrgenommenen Gruppen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Weg konsequent weitergegangen wird. Projekte wie die „Gesellschaft der Vielen“ weist den Weg in eine Verwirklichung von Utopien und der Glaube an die Organisation progressiver und gesellschaftlich-libertärer, politischer Ideen.
Prezidents, im Vergleich zu Form, größere, metaphysische Obdachlosigkeit und seine Absage an die Überzeugung, dass Einzelne und/oder politische Gruppen den Weg der Geschichte entscheidend und nachhaltig zum „Positiven“ verändern können, mag den Hörern desillusioniert und deprimiert rüberkommen, kann aber auch anders gelesen werden, wofür eine Line in „Was glaubt die Welt denn, wer sie ist?“ symbolisch steht:
„Sie nenn‘ mich desillusioniert, es klingt, wie als Kritik gemeint,
als sei es nicht was Positives, desillusioniert zu sein.
Also frei von Täuschungen und Lebenslügen.
Falschen Überzeugungen, bequem, aber daneben liegen.“
Abschließend ist festzuhalten, dass die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zugängen zu ein und dem selben Thema eine enorme Bereicherung birgt. Das Prinzip „Agree to disagree“ ist dabei von zentraler Bedeutung, weil es impliziert, dass die Position der Gegenseite grundsätzlich anerkannt wird, auch wenn die eigene Haltung eine fundamental andere ist. Diese Freiheit im Denken und Diskutieren mag weh tun, weil echter Perspektivenwechsel eines der wichtigsten Prinzipien des menschlichen Denkens und Erlebens, das Konsistenzmotiv, ankratzt, aber es ist der einzige Weg, die Brücken herunterzulassen, statt die Mauern aufzubauen.
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Herzlichen Dank für Hinweise, Feedback und Kritik an Susanne&Andrea Zwingel, Marc Dietrich und Miriam Davoudvandi