Von Spatzen, die auf Orangen kacken

Hier in meinem Riad bin ich sicher. Ich bewege mich mit gespreiztem Fuß von Schwelle zur Schwelle. Ich überhüpfe sie und spreize dabei meine Finger. Sie haben mir eine blaue, gehäkelte Skimaske aufgesetzt, damit die Kanten ein wenig weniger scharf sind wenn ich sie mit meinem Kopf treffe, wenns wieder krampft. Wenn wieder Blitze durch meinen Kopf jagen und kein Ende finden.

Mir geht’s hier eigentlich gut. Papa arbeitet mit Besuchern, die meine Medikamente bezahlen. Nach draussen darf ich selten. Meistens sitze ich mit meinem grünen Frottee-Schlafanzug vor dem Fernseher und höre genau zu, was die Erwachsenen sprechen. Ganz erwachsen werde ich nie werden. Sie setzen mir kein Kopftuch auf, dabei habe ich schöne, Haßelnuss-braune Haare und strahlende Augen. In die Schule bin ich nur ein paar Jahre gegangen. Irgendwann gings nicht weiter, haben sie gesagt. Dabei sehe ich alles und höre genau zu. Hab gelernt mich zu benehmen wie sie es wollten. Spreche selten, schreie fast nie, auch wenn es manchmal zum Schreien ist.

Manchmal geht mein Vater mit mir zum Place Rcif und kauft mir ein Eis. Aber erst, wenn es dunkel ist und wenig Leute kucken oder die Leute, die kucken selbst nicht ganz dicht im Kopf sind. Nicht ganz dicht im Kopf sein. Was heißt  das schon? Als der Besucher mir eine Orange reicht, die er gerade geschält hat, hüpft mein Herz und ich kann mich kaum beruhigen. Sage Merci statt Shukran, damit er mich versteht. Werde ganz unruhig und lächle die ganze Zeit. Baba unterhält sich mit seinem Bruder, also nicht der echte Bruder. Der gedachte Bruder. Der Weggefährte. Ich lache an den richtigen Stellen, dann schau ich dem Mann im Fernsehen zu, wie er Wände antippt, die dann Gewitterwolken ausspucken. Manchmal sogar Schnee und immer viel Sonne. Wie Schnee wohl schmeckt!? Wie er sich wohl anfühlt in den Bergen!? Einmal hat mir Baba Schnee aus den Bergen am Horizont mitgebracht. Er war so kalt wie das Eis, das wir manchmal nachts essen. Aber fast schon Wasser. Es sind ja zwei Stunden von hier zum Schnee. Eines Tages will ich im Schnee liegen und die Skimaske tragen, wo sie sich gehört. Dann wird meine Spucke zu Eis werden und meine Nase ganz rot vor Kälte. Vielleicht wird eine Bergziege meine Hand ablecken. Die mit den gespreizten Fingern.

„Mal à la tete“ sagt Baba und zeigt auf mich. Was wenn aber alle anderen den „mal à la tete“ haben und ich nur eine Rampe brauche, auf der ich durch mein Leben laufe. Die Schwellen einfach einebne oder sie überfliege. Flügel wären schön. So wie die Vögel, die hier manchmal durchs Riad fliegen und auf die Orangen kacken, die auf dem Tisch im Salon liegen. Einmal ist ein knallblauer Vogel auf meiner Hand gelandet und hat mich angepiept. Ich habe zurück gepiept und habe die ganze Nacht nicht schlafen können vor Aufregung. Ach wäre ich ein Vogel. Ich könnte alle Hindernisse überfliegen und mich durch Löcher zwängen, die für Mäuse gedacht sind. Und ins Gebirge fliegen, Schnee essen und dann in zwei Stunden zurückfliegen in die Hitze. Ein Spatzenbad auf dem Place Rcif nehmen. In zerflossenem Eis picken. Das Eis wieder ausspucken und die Waffel aufessen. Und dann zurück ins Riad fliegen. Denn hier bin ich sicher.

(Diese Geschichte entstand im Februar 2017 in Fes/Marokko. Sie basiert auf wahren Begebenheiten und ist trotzdem ausgedacht.)

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